Wir alle haben das schon erlebt: Wir befinden uns inmitten von Menschen und fühlen uns doch ganz allein. Das passiert nicht nur in einer Menge, wie z.B. einer Einkaufsstraße oder einem überfüllten Wartezimmer. Dort wo wir sowieso niemanden kennen und wo sich jeder selbst der nächste ist, weil die persönlichen Gedanken um Einkaufsziele oder eine Krankheit kreisen. Ganz oft haben wir das schon erlebt, während wir auf einer Familienfeier waren oder beim Firmenausflug. Manchmal gar bei einem Treffen mit der besten Freundin/dem besten Freund oder Liebespartner. Ganz plötzlich scheint da etwas hochgefahren zu sein – so eine Art unsichtbare Mauer. Sie ist nicht zu sehen, aber total zu spüren. Dein Gegenüber ist meilenweit von dir getrennt und sitzt doch nur einen knappen Meter dir gegenüber. Wir kennen diese Problematik heutzutage vor allem durch die sozialen Medien und das dauerhafte Herumschleppen eines Smartphones. Schau dich einmal in einem Restaurant um. Wie viele Handys siehst du da neben dem Teller seines Besitzers liegen? Dieses Ding, das den Menschen, mit denen du gerade zu Abend isst, deutlich zeigt, wie ablenkbar du bist und wie sehr du in Alarmbereitschaft stehst. Jederzeit kannst du die körperlich Anwesenden im Geiste verlassen, wenn jemand anderes dein Telefon zum Vibrieren bringt. Manchmal genügt schon ein für dich interessantes Reel auf Instagram, das deine ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht und damit allen anderen signalisiert, wie unwichtig sie gerade sind und wie ablenkbar du deshalb bist. Was ich da gerade beschreibe, das kennst du und es ist seit Jahren der Lauf der modernen Dinge. Es gibt mittlerweile Forschungen zu diesem Thema. Ganze Beziehungen scheitern zu einem großen Teil daran, dass die Partner sich nicht mehr ganz aufeinander einlassen können. Im Hier und Jetzt. Kleine Kinder bekommen nicht mehr die Aufmerksamkeit, die sie so dringend benötigen und die ihnen auch zu Recht zusteht. Während Mama stillt, schaut sie ins Handy anstatt in die Augen ihres Babys. Das ist alles offensichtlich. Auch dass du es kaum noch genießen kannst in Intimität eine schöne Zeit zu verbringen ohne das durch Fotos vom schmackhaften Essen oder der Location schnell mal sozial zu teilen. Aber wenn du jetzt seufzend auf die gute alte Zeit verweist, wo es das ganze Zeug wie Internet und Smartphones noch nicht gab, ist es vielleicht ganz gut, auch diesen Vergangenheitszauber, in dem immer alles weichgespült wird und besser war, genauer anzuschauen.
Was wäre, wenn diese guten alten Zeiten letzten Endes die moderne Zeit der Cyberwelt hervorgebracht hätten? Letzten Endes kann Neues nur aus neuen Ideen entstehen. Warum ist die sogenannte Generation Z wie sie gerade dargestellt wird? Mit Work-Life-Balance, hypersensibel und ich-bezogen? Waren die Babyboomer und die Generation X nicht diejenigen, die die Millennials und die Generation Z hervorgebracht haben? „Was du säst, das erntest du“, sagte mal ein kluger Mensch. Aber was ist jetzt mit der unsichtbaren Mauer? Die gab es sicher schon immer! Weit vor der Smartphone-Zeit gab es immer diejenigen, die nicht wirklich an einer wahren Beziehung mit dir interessiert waren. Es gab immer solche, die dich leer anschauten, wenn du dein Innerstes offenbart hast und die dann subtil oder sehr offensichtlich vom Thema ablenkten. Das, was du heute siehst, ist lediglich alles, was zuvor schon im Geist stattfand. Stell dir eine Szene im Lokal vor. Es ist 1950 und ein Mann führt seine Liebste in ein Tanzlokal. Sie essen und trinken. Ein paar Mal versucht sie ihm ihre Gedanken mitzuteilen. Diese Inhalte sind für sie sehr wichtig. Doch er tätschelt ihre Hand und fragt, ob sie nun mit ihm tanzen möchte. Das wiederholt sich noch ein paar Mal an diesem Abend. Einmal schaut er dabei der hübschen Kellnerin hinterher. Ein anderes Mal, als sie von dem Konflikt mit ihrem Chef erzählt, lenkt er das Thema geschickt von ihrem Boss zu seinem. Und plötzlich redet er über Menschen, die sie nicht kennt. Weil sie aber mit ihm in Beziehung bleiben will, geht sie auf seine Geschichte ein, gibt ihm Tipps und hört seinen Auslegungen aufmerksam zu. Gegen Mitternacht gelingt es ihr, endlich sein Interesse für sich zu wecken. Sie redet ein paar Sätze, er hört zu und beginnt darauf tatsächlich zu antworten. Da wird er von hinten angestupst. Es ist ein Kollege. Sofort dreht er sich um und widmet sich nun ganz diesem Mann. Als dieser Abend endlich vorüber ist, fällt sie ausgelaugt und todmüde ins Bett. Sie fühlt sich allein. Meilenweit entfernt von ihrem Partner, der nur wenige Zentimeter von ihr tief und fest schnarcht. Es ist nicht so, dass er sie schlecht behandelt hätte. Sie haben oberflächlich gelacht, gut gegessen, viel getanzt. Er hat ihr sogar Komplimente gemacht und ihr gesagt, wie hübsch sie heute wieder aussehen würde. Dennoch ist keine echte Intimität entstanden. Ganz einfach, weil es keinen wirklichen Kontakt gab. Auf der äußeren Oberfläche schon und alle anderen Menschen in dem Tanzlokal, die das Pärchen sahen, würden wohl denken, wie gut die Zwei zusammenpassen. Innerlich ist die Frau aber leer und einsam geblieben. Ganz einfach, weil es diese unsichtbare Mauer zwischen ihr und ihm gab. Da war kein echtes Interesse. Jetzt stell dir diese Szene heute vor. 2024. Da ist es offensichtlich, dass er dauernd auf sein Handy schaut und sie natürlich auch. Doch die Sehnsucht nach echter Nähe und wirklichem Kontakt war schon im letzten Jahrhundert oft unerfüllt. Ich gehe soweit zu behaupten, dass es eine Rarität ist, dich ganz und gar mit deinem Gegenüber im Geiste zu verbinden. Ganz einfach, weil niemand wirklich im Augenblick lebt. Alles, was dir jemand erzählt, bewertest du mit den Urteilen, die dir zur Verfügung stehen. Diese Urteile sind Erfahrungswerte deiner Wahrnehmung aus deiner Vergangenheit. Meist hören wir gar nicht richtig bis zum Schluss zu, sondern formulieren bereits während ein anderer spricht, eine Antwort, die uns passend erscheint und die wir aus unserer persönlichen Schublade ziehen. Das merkt man auch daran, dass Sätze oft vorzeitig unterbrochen werden oder vorschnell Vergleiche gezogen werden. Je sensitiver du bist, desto eher wirst du diese unsichtbaren Mauern zwischen dir und anderen fühlen. Das kann sehr einsam machen und ist dennoch die größte Chance. Natürlich wird es immer Menschen geben, mit denen dich augenblicklich eine tiefe Nähe verbindet, so als würdest du sie schon ewig kennen und es sind welche da, die du schon seit dreißig Jahren kennst, mit denen du aber nicht wirklich warm wirst. Das ganze Fazit aber ist: Erkenne, dass die allermeisten Begegnungen die du hast, nie im Hier und Jetzt stattfinden, weil ein Großteil der Bevölkerung in der Vergangenheit oder Zukunft lebt. Und an diesen beiden Orten ist Trennung vorprogrammiert. Nimm es also nicht persönlich, wenn ein Gegenüber nicht ganz und gar mit dir ist. Sei du stattdessen derjenige, der im Augenblick lebt, zuhört und die echte intime Verbindung sucht. Wenn du das öfter und öfter praktizierst, kommen unter Garantie die Menschen in dein Leben, die ebenso wie du keine unsichtbaren Mauern mehr ertragen und sich total auf dich einlassen…
