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Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne …

Ich bin ein großer Fan von Hermann Hesse. Sicher kennst du auch sein Stufen-Gedicht. Insbesondere diese Passage wird gerne zitiert und benutzt: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“
Warum wohl wird gerade dieser Satz so gerne gewählt? Ich glaube, es ist in uns allen angelegt, dass wir hierherkamen in die materielle Welt, um zu lernen und zu wachsen. Wir kennen viele Anfänge. Da wäre schon einmal die Geburt – unsere eigene oder die unserer Kinder oder Enkel. Es beginnt etwas ganz Neues. Imaginär erkennen wir eine ungeschriebene Zukunft. Alles erscheint uns möglich. Ja, es liegt ein Zauber darin. Dieser Zauber trägt eine große Portion Hoffnung. Denn es könnte ja alles wunderbar werden. Das hilft uns zu leben. Doch was passiert, wenn es ganz anders läuft? Wenn diese Zukunft, die bereits in ihrem zauberhaften Beginn so rosig erschien, jäh in Krankheit, Verlust und Misserfolg in sich zusammenbricht? Dann stehen wir wieder auf und beginnen erneut. Das machen wir so lange, bis uns die Zeit, unsere Lebenszeit, ein Schnippchen schlägt. Dann nämlich, wenn uns nicht mehr viele Jahre bleiben. Wenn wir uns in solch einer Situation diese Zeile, herausgetrennt aus Hesses gesamtem Gedicht, anschauen, lacht sie uns hämisch ins Gesicht. Wenn wir natürlich die ganze Dichtung betrachten, erkennen wir, dass Hesse selbst im Tod noch einen zauberhaften Anfang sah. Was ich allerdings hier eigentlich ausdrücken möchte, ist: Was wäre, wenn es ausschließlich immer nur um den Anfang ginge? Wir setzen kein bestimmtes Ziel mehr fest, sondern begreifen jeden Schritt als ein Wunder und die Chance zu wachsen. Ganz ohne Ergebnisorientierung. Das bedeutet es eigentlich, im Augenblick zu sein. Der Zauber, von dem Hermann Hesse da spricht, bezieht sich für mich nur noch auf das Jetzt. Jetzt tippe ich gerade Wort für Wort, ganz ungeachtet, wer diese Zeilen wohl lesen mag. Ich tippe sie, um mir meiner Gegenwart bewusst zu werden. Es ist alles gut so, wie es ist. Jetzt. Es geht nicht mehr um ein bestimmtes Ziel, das in der Dualität sowieso selten so erreicht wird, wie es für uns wünschenswert wäre. Und selbst wenn wir unser Ziel erreicht haben, dann werden wir nicht lange in Glückseligkeit verharren. Wir werden schnell wieder umtriebig und suchen nach einem neuen Plan mit neuen Herausforderungen. Und wieder können wir daran scheitern oder eben nicht. Will ich damit sagen, dass wir resignieren oder einfach gar nichts Weltliches mehr erstreben sollen? Nein, sicherlich nicht. Es geht nur wieder einmal um den Fokus. Im Stufengedicht sehen wir klar, dass es um Entwicklung und Lernen geht. Wir sollen heiter Raum und Raum durchschreiten, so heißt es. Spielerisch. Nicht gar so bierernst. Doch es geht immer um den Weg. Haben wir eine Lebensstufe abgeschlossen, geht unser Lernen weiter. Und wieder umfängt uns der Zauber. Es geht um kein Ziel, es geht um den Weg, den wir dorthin gehen. Wie wir ihn gehen und mit wem. Was wir auf diesem Pfad lernen und was uns scheinbar Rückschläge erleiden lässt. Nur um dann zu erkennen, dass diese Rückschläge immer auch kleine, sogar große Fortschritte waren und uns geistig haben wachsen lassen. Wer starr auf sein Ziel guckt, ganz unflexibel und engstirnig, der wird dieses vielleicht erreichen, ohne aber im Geringsten etwas gelernt zu haben. Und wenn er es nicht erreicht, ist das Jammern groß. Das Einzige, das wir mitnehmen werden auf unsere Rückreise in die Ewigkeit, das ist unser Geist. Und der wird dann hoffentlich alle Lernziele erreicht haben. Und solange könnten wir uns am unangestrengten Spielen eines Kindes orientieren, das ohne Absicht spielt und dabei gedankenverloren glücklich ist …

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